Erste Yogaerfahrungen. Der lange Weg einer Yogini

Sich zu sehr bemühen

Wenn die Praxis dir keine Freude bereitet, wenn sie weder Entdeckungen noch Geschmeidigkeit bringt, dann deswegen, weil du zu viel tust, dich zu sehr bemühst….und dir keine Zeit zum Hinhören nimmst.

Kommt dir die Einfachheit abhanden, dann geh spazieren.

Dieses Zitat ist aus dem Buch „Atem Die Essenz des Yoga“ von Sandra Sabatini. Ich erinnere mich an so viele Anrufe bei meiner Yogalehrerin, in denen ich mich entschuldigte dass ich wiedermal nicht kommen könne und in den Wald „flüchten“ müsse. Und „flüchten müssen“ trifft es im wahrsten Sinne des Wortes.

Als ich mit Yoga begann war ich sehr jung, ich schätze so ca. 19 Jahre alt. Von Yoga keine Ahnung ging ich in einen Kurs, wo ich von irgendwoher einen Flyer hatte. Ich war neu in der Stadt und suchte nach einer Beschäftigung, nach einem Hobby. Da ich damals sehr auf dem Fitnesstrip war lag es nahe, dass ich zum Ausgleich Yoga machen könnte. Die erste Erfahrung, die ich dort machte ist es nicht wert aufgeschrieben zu werden. Es war einfach nur schräg, schrecklich und ich schwor mir nie wieder zum Yoga zu gehen (Anmerkung: Solltest du dich in einer Yogastunde bedrängt fühlen, du zu Stellungen „gezwungen“ wirst, dir keinen Abstand zum Lehrer eingestanden wird und/oder du unsittlich berührt wirst, verlasse den Raum und kehre nie wieder dahin zurück! Und wenn du die Kraft und den Mut findest rufe die Polizei und melde dieses Yogastudio).

2 Jahre später erzählte mir eine Freundin von einer neuen Yogalehrerin, die sie kennengelernt habe und lud mich ein doch mal mitzugehen. Und schon eine Woche später stand ich pünktlich auf der Matte, um Yoga zu machen (das zum Thema „nie mehr Yoga“).

Was ich dort erlebte war die absolute Offenbarung und ich übertreibe hier nicht. Heute würde ich sagen, dass sie eine YinYoga-Lehrerin gewesen ist (sie nannte sich schlicht „Yogalehrerin“), denn wir hielten die Asanas minutenlang. Wir sollten hineingleiten und dann sollten wir atmen und spüren, atmen und spüren, atmen und spüren. Nach der Stunde war ich fix und fertig, weinte etwas und wusste nicht wo mir der Kopf stand. Aber es war glasklar, dass ich wieder kommen würde und unterschrieb noch am gleichen Tag den Abovertrag. Was mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst war: Ich würde viele Tränen vergießen, schmerzhafte Erinnerungen würden sich melden und ich würde immer wieder – ausgelöst durchs Yoga – in die tiefsten Abgründe gucken.

Ich blieb dieser Lehrerin viele Jahre treu, schaute mich aber auf dem Yogamarkt um und probierte alles aus was mir zwischen die Finger kam. Ich ging ins Kloster um Yoga zu praktizieren, ich ging in einen Ashram um von morgens 5.30 Uhr bis abends 22 Uhr zu meditieren und Yoga zu praktizieren. Sicherlich wird es noch Yogastile geben, die ich noch nicht ausprobiert habe, aber es waren schon eine Menge Yogarichtungen, die ich u.a. in Wochenendworkshops und Yogaurlauben ausprobiert habe.

Aber immer wieder zog es mich zu dem stillen, ruhigen Stil zurück. Nur da merkte ich wirklich was mit mir los war. Nur da spürte ich mein Inneres und meine so große Not. Bei dieser ersten richtigen Yogalehrerin konnte ich aussprechen was mit mir passierte, wenn ich Yoga praktizierte. Ich konnte formulieren, dass ich keine Partnerübungen mochte, nicht angefasst und andere auch nicht anfassen wollte. Hätte ich sie nicht die ersten Jahre als Begleiterin an meiner Seite gehabt, ich wüsste nicht, ob ich überhaupt noch Yoga praktizieren würde. Leider empfinde ich den Yogaunterricht, den es auf dem Markt gibt häufig als sehr übergriffig und wenig individuell ausgerichtet. Die Lehrer haben häufig keine Zeit mehr sich dem einzelnen Schüler zu widmen und es gehört schon eine Menge Selbsterfahrung des Schülers dazu mit den eigenen Gefühlen zurecht zu kommen, die durch den Yoga ausgelöst werden können.

Und obwohl mir diese Gefühle Angst machten, wollte ich immer tiefer hinein tauchen und verstehen was mit mir los ist. Und ich erhoffte mir Heilung. Heilung von all den angstmachenden Alpträumen, von den Erinnerungsblitzen, den Flashbacks aus der Kindheit, von der so unendlichen Traurigkeit und dem destruktiven Verhalten, dass ich in fast allen Bereichen in meinem Leben lebte (Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten, Alkohlmissbrauch…).

Ich dachte damals (und ehrlich gesagt heute auch noch so manches Mal), dass ich mich nur bemühen müsste, mich so richtig doll anstrengen, richtig viel und intensiv Yoga praktizieren, dann würden diese Gefühle weggehen und ich würde mich endlich „normal“ fühlen. Aber leider geschah genau das Gegenteil. Ich achtete weder auf meine physischen noch auf meine psychischen Grenzen und das tat ich nicht, obwohl ich eine gute Lehrerin an meiner Seite hatte. Mir ging es immer schlechter und der Yoga konnte mich nicht retten. (Anmerkung: Yoga, möge er auch noch so gut und hilfreich sein, kann niemals eine psychotherapeutische Behandlung ersetzen.)

Der Yoga kann ein Unterstützer sein, einer, der dir die Hand reicht oder dir ein Werkzeug in die Hand drückt. Aber Hinschauen musst du selber. Spüren musst du selber. Das nimmt dir die perfekteste Yogalehrerin nicht ab. Hierfür hatte ich zusätzlich eine wundervolle Traumatherapeutin, ohne die ich den Yogaweg auch nicht hätte weitergehen können. Denn das Praktizieren auf der Matte und die Gefühle, die mich manches Mal regelrecht überfluteten, fing sie mit ihrem psychologischen Wissen auf und ich konnte auf mehreren Ebenen einige meiner vielen Traumata aufarbeiten (ich bin immer noch in traumapsychologischer Behandlung, allerdings stehen da jetzt nicht mehr die Yogaerfahrungen im Mittelpunkt).

Bis ich den Yoga richtig verstand, dauerte es Jahre des Praktizieren, der Innenschau, vieler Tränen, vielem Fluchen und Wüten auf der Matte. Ich verstehe jetzt, dass er ein liebevoller Begleiter ist und mehr dahinter steckt als „Asanas üben“. Er steht mir mit Rat und Tat zur Seite und zeigt mir auch klar meine Grenzen auf, an die ich mich im besten Falle auch halte. Leider kommt es auch heute noch vor, dass ich mich überfordere, zu viel praktiziere und mir Asanas antue, die meiner Schmerzerkrankung wenig dienlich sind, das ist dann mein Ego wie man so schön im Yoga sagt, aber dazu in einem späteren Post mal mehr.

Und auch heute ist es hin und wieder noch so, dass ich lieber einen Spaziergang mache als mich auf die Matte zu begeben. Und das ist dann auch in Ordnung 😉

Namasté.

Jenny.